Donnerstag, 15. Oktober 2015

Genie und Schizophrenie ?

Ferienzeit - Zeit für einen Besuch bei den Großeltern. Manchmal brauchen die nun älteren Leute etwas Pause und dann gehen wir selbst auf Entdeckungsreise. Wir befinden uns in diesem Fall auf Schloß Hubertusburg. Einst barockes Landschloss von August dem Starken im Leipziger Land,
 siehe auch hier.


Ich selbst kannte es in meiner Kindheit nur als psychiatrisches "Krankenhaus", als riesengroßes Areal mit vergitterten Fenstern, aus denen abends Schreie klangen, gruselig für uns Kinder.
Mein Großvater hat dort bis in die 70er Jahre als Pfleger gearbeitet. Wenn wir Oma und Opa besuchten, dann begegneten wir diesen Menschen manchmal, sie mochten meinen Opa.
Etwa 800 Patienten (betreut von nur 4 Ärzten!) waren dort damals mehr oder weniger freiwillig dort "untergebracht", bei vielen würde "verwahrt" oder "eingesperrt" leider besser passen. Die Psychiatrie in der DDR ist ein eigenes Thema und wurde natürlich vom Regime auch missbraucht, um "lästige" Personen von der Bildfläche wegzubekommen.



Einer dieser Menschen war Karl Hans Janke. Ich habe hier schon einmal über ihn berichtet.
Mein Großvater kannte ihn als höflichen, kultivierten und kreativen Menschen.
Im Schloß gibt es nun eine dauerhafte Ausstellung über ihn, der fast 40 Jahre seines Lebens, bis zu seinem Tod 1988, in den Anstalten im Schloß Hubertusburg im Leipziger Land zubringen musste.



Die Eingangstür öffnet sich, wenn man die Klinke nach oben drückt.

Wer Interesse hat, kann sich in einem kleinen Raum, in dem man unweigerlich die Enge und den Geruch der DDR spürt, einen 45 -minütigen Film anschauen. Karl Hans Janke sitzt beim Anschauen der Dokumentation über ihn und seine Forschungs- und Kunstprojekte praktisch mit am Tisch. Ärzte und Schwestern kommen zu Wort....  ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, es fühlte sich ähnlich bedrückend wie Stasi an, die Macht, Menschen aus dem normalen Alltag zu verbannen, neben wirklich psychisch Kranken und unpassenderweise auch vielen geistig behinderten Menschen (die in einem anderen Umfeld viel besser aufgehoben gewesen wären) "unterzubringen", die unliebsamen, politisch störenden...
Er bezeichnet sich als weichen, empfindsamen Menschen. Als Einzelkind, geb. 1909, bei vermögenden Eltern in Kolberg/Pommern aufgewachsen, machte er sein Abitur und begann 1932 sein Studium der Zahnmedizin in Greifswald. Schon nach dem ersten Semester spürte er, dass er beim Sezieren Schwierigkeiten bekam. Er belegte stattdessen Abendkurse an der TU in Berlin und wird bald auch zum 2.Weltkrieg eingezogen. 1943 wird er nach psychischen Störungen aus der Wehrmacht und dem Lazarett entlassen. Er zieht sich aufs elterliche Gut zurück und entwirft Flugzeugtypen und baut Modelle dazu.


1945 stirbt sein Vater und er muss mit der Mutter aus Pommern nach Sachsen fliehen... Welcher sensible Mensch würde da nicht psychisch leiden? Sicher aber auch robustere Zeitgenossen.




Die Mutter verstirbt 1948 und Janke kann sich ohne die gemeinsamen Bezugsscheine nicht mehr über Wasser halten, beginnt zu verwahrlosen und kann nicht mehr seine "kleinen Dinge des täglichen Bedarfs" herstellen und verkaufen, da ihm die Bezugsscheine für Papier und Pappe fehlen. Er rebelliert dagegen in einem Schaukasten.  "Spielzeuge können nicht mehr gefertigt werden, weil das Material für Kanonen gebraucht wird..." Das wird zum Anlass genommen, ihn zu verhaften.
Das Sozialamt und der Amtsarzt weisen ihn bald in eine psychiatrische Landesanstalt ein. Das "erspart" ihm das Arbeitslager.
Diagnose: Schizophrenie.
So beginnt seine Psychiatrie-Karriere. Die bis zum seinem Tod in 40 Jahren dauern wird.
Ein Langzeit-Psychiatriepatient wurde damals bald wohnungslos und konnte in Folge dessen auch nicht mehr entlassen werden, er hatte ja keine Heimatadresse. Teufelskreis.
Er richtet sich nach vielen Versuchen, entlassen zu werden, in dieses Leben ein und beschäftigt sich mit Zeichnungen und Erfindungen. Man wird 2007 erst bemerken, dass er bereits 1939 ein Patent anmeldete, das 1943 erteilt wurde: ein Vorläufer des modernen Navigationsgerätes und ein Flugzeug.



Ich maße mir nicht an, darüber zu urteilen, wie krank er wirklich war. Heute würde man sagen, dass ein Mensch wie Karl Hans Janke in einer Wohngruppe besser und ausreichend untergebracht wäre.
Seine Höflichkeit sicherte ihm gute Beziehungen zu den Handwerkern der Anstalt, die ihn immer wieder mit Materialresten versorgen konnten.
So saß er stundenlang und versank in seine eigene Welt. Zeichnete, konstruierte und baute Modelle.
Was ihm zur Diagnose "Schizophrenie und Größenwahn" das Symptom "Wahnhaftes Erfinden" einbrachte.


Zwei jeweils etwa 100 zeitige Bücher liegen aus, in denen Janke seine Sicht auf die Entstehung der Welt festgehalten hat.



      Spannend, nicht?






Karl Hans Janke hat sich viel mit dem Thema "Energie" beschäftigt.




Er führte einen regen Briefverkehr mit Behörden, Forschungseinrichtungen und dem Patentamt. Wenn die Klinik den Absendern aber mitteilte, dass Janke Psychiatriepatient ist, erlosch das Interesse jäh. Er dokumentierte und schrieb sehr gerne. Unter anderem auch Liebesbriefe an eine Mitpatientin, Christine...  die er bei den zweimal im Jahr stattfindenden Tanzabenden kennengelernt hatte.



Ich fand es faszinierend, was ein Mensch in so einer Umgebung erschaffen kann. Er mag eine Ausnahme sein... doch immer wieder ist Kunst von Psychiatriepatienten im Fokus der Aufmerksamkeit. Vielleicht hat ihn diese Tätigkeit, dieses Entwickeln und Gestalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten, am Leben gehalten und nicht verzweifeln lassen. Er erschuf und erfand sich seine eigene Welt.
Viele seiner Modelle wurden zu seinen Lebzeiten vernichtet, mit Hinblick auf den Brandschutz.
Es wäre zu gefährlich, sie aufzubewahren. Die restliche Sammlung verstauten die Hausmeister im Zuge dessen an einem sicheren Ort, einem leeren Raum im obersten Geschoß. Gefunden und gewürdigt wurde diese Sammlung knapp 20 Jahre nach dem Tod Jankes, als die damalige Chefärztin die Leitung des Hauses an ihren Nachfolger übergab. Seitdem gab es immer wieder Ausstellungen seines Werkes an verschiedenen Orten, u.a. auf der documenta.
Wenn man die Ausstellung verlässt, wird einem die vergangene Trostlosigkeit dieses Ortes noch einmal unabsichtlich vor Augen geführt:



                     Die großen Nebengebäude des Schlosses sind nun schön restauriert.




Puh, das war heftig...




Wir reisen an einen anderen Ort meiner Kindheit weiter, meinen früheren Wohnort Augustusburg, wo ebenfalls ein Schloß August's des Starken steht. Das hier ist es nicht, "nur" ein schön anzusehendes Wohnhaus.




Ein Besuch in einem alteingesessenen Café und der Gang zum Grab meiner kürzlich verstorbenen Patentante.
Der Gang über den Friedhof meiner Heimatstadt hat mich  sehr an meine Kindheit erinnert, mehr als ich vermutet hatte. Ich war schon viele Jahre nicht mehr dort. Inzwischen liegen da einige Lehrer von mir und andere Menschen, die ich kannte.



Ein Tag, der ganz schön zum Nachdenken und Erinnern angeregt hat.









7 Kommentare :

  1. Sehr interessant und aufschlussreich! Ich liebe ja solche persönlichen Geschichten...vielleicht ist ja das Buch von Joachim Meyerhoff, dem tollen Schauspieler, was für dich, der als Kind in einer Psychiatrischen Anstalt aufgewachsen ist, an der sein Vater als Arzt war (Alle Toten fliegen hoch).
    LG
    Astrid

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    1. sehr berührend!
      An das Buch, das Astrid erwähnt, habe ich auch gleich gedacht. Spannender finde ich aber noch den 2. Band (der aber die Kindheit erzählt) "Wann wird es endlich wieder wie es nie war", das Beste, was ich dieses Jahr gelesen habe.
      Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!

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  2. Liebe Astrid, ja, tatsächlich, das interessiert mich schon lange. Das Themengebiet "verfolgt" mich, da auch mein Vater in einer psychosomatischen Klinik als Psychotherapeut gearbeitet hat.... LG Sabine

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  3. Eine berührende Geschichte und eine ganz schön heftig Erinnerungen aufrührende Heimreise war das wohl für dich. Lieben Gruß Ghislana

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  4. Danke Sabine - das ist ja eine ganz unglaubliche Geschichte! Sehr ergreifend!

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  5. Liebe Sabine,

    solche Lebensgeschichten waren früher nicht selten. Sensibilität und Begabung machen das Leben nicht immer leichter. Deine Bilder finde ich sehr anrührend, am meisten jedoch das Türblatt mit der abblätternden Wand. An der Diagnose habe ich zwar angesichts der Bücher wenig Zweifel, aber was heißt das schon und wo ist der Grund für die Unterbringung? Du stellst das sehr einfühlsam dar und es spricht sehr für Deinen Opa, dass die Patienten ihn mochten.
    Alles Liebe
    Deine Sarah

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  6. Danke für eure Kommentare und euer Interesse. Irgendwie ist es ein Glücksfall, dass der neue Chefarzt dort auch Kunstgeschichte studiert hat - denn so bleibt dieses Lebenswerk nicht ungesehen in einem Koffer auf einem Dachboden oder gar auf einer Müllkippe liegen. Spannend ist es allemal...

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